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Das geht nur im Film – Realismus in erfundenen Geschichten

  • von
Patricia Prezigalo Film Plauderecke

Hallo wunderbares Lesewesen

Schön leistest du mit heute Gesellschaft in meiner Plauderecke.
Schnappt dir etwas zum Knabbern und ein Getränk deiner Wahl. Und wer aufs Klo muss, sollte das jetzt gleich erledigen, denn ich werde nachher keine Pausen machen. Ich warte.

… Wieder da? Grossartig.

Realismus im Film und in erfundenen Geschichten

In Geschichten wimmelt es nur so von Helden, Milliardären, Drachen, tödlichen Wunden, an denen man nicht verblutet, Magie und Schmetterlingsfeen. Also lauter unrealistischem Zeugs, das wir problemlos wegstecken. Aber dann passiert etwas und unsere Reaktion ist: «Neee, also das ist unrealistisch.»

Besonders, wenn ich mir einen Film ansehe, kann ich mich herrlich über Nichtigkeiten aufregen, wie z.B.:

  • Quietschende Autoreifen, klingen dramatisch. Ich verstehe das. Aber mein Verständnis hört auf, wenn sie auf Sand und Kies quietschen. Wie geht das? Autoreifen quietschen in der Realität viel seltener.
  • In Action Filmen werfen die Helden oft ihre Schusswaffen weg, wenn sie keine Munition mehr haben. Das passiert im richtigen Leben eher nicht, denn so eine Waffe ist teuer und kann schliesslich nachgeladen werden. Munition ist billiger erhältlich als eine Waffe. Selbst in Amerika.
  • Türen. Ja, Türen. Sie geben im Film viel zu schnell nach, wenn z.B. ein Einsatzkommando ein Haus stürmen muss. Einmal die Schulter dagegen werfen oder ein bis zwei Fusstritte und die abgeschlossene Eingangstür ist auf. Im richtigen Leben braucht es meist einen Rammbock oder eine Kreissäge.

Daher habe ich mich oft gefragt: Wieso akzeptiere ich magische Steine und Schattenmonster, aber bei quietschenden Reifen auf Sand ziehe ich die Grenze?

Und es geht nicht nur mir so. Es gibt ganze Webpages, die sich über solche und andere «Fehler» lustig machen. Dabei meine ich nicht die, die über die Qualität von Special Effects oder vereinzelte Versehen in einem Film meckern. Am Set sind so viele Leute, da passiert es gerne, dass ein Crewmitglied im Bild auftaucht, Kaputtes sich selbst repariert oder Kleidung die Farbe ändert. Ne, ne. Ich meine die, die sich darüber aufregen, dass eine erfundene Geschichte nicht realistisch ist.

Wieso ist Realismus wichtig? Nach einigem Überlegen und etwas Recherchieren kam ich zu drei Lösungen.

  1. Wenn eine Geschichte auf uns «real» wirkt, können wir eher in ihr versinken und sie geniessen. Mitfiebern. «Fehler» brechen diese Immersion, da uns bewusst wird, dass dies nicht «real» ist, damit auch kein Grund zum mitfiebern besteht.
  2. Wenn in der Geschichte zu wenig passiert, haben die Lesewesen Zeit, um nach Fehlern zu suchen.
  3. Wenn die Figuren auf uns real wirken, können wir uns eher mit ihnen identifizieren, was die ganze Geschichte spannender macht. (Mehr dazu hier)

Zu Punkt 2 und 3 werde ich einen eigenen Artikel schreiben müssen, da das sooo viel umfasst, dass ich unmöglich hier darauf eingehen kann. Aber Punkt 1 sehe ich mir mit dir genauer an.

Der Vertrauensvorschuss

Papierschloss Realismus Buch Film
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Bis zu einem gewissen Grad wollen wir uns auf all das unrealistische Zeug einlassen. Lesewesen wollen in fremden Welten versinken, die mit Abenteuern, Gefahr, Spannung und Romantik locken. Natürlich wissen wir, dass alles erfunden ist, aber je realer es uns erscheint, umso spannender ist es auch.

Wir geben den Geschichten einen Vertrauensvorschuss, damit sie uns unterhalten können. Und der ist irgendwann aufgebraucht oder gar nicht da. Das ist der Teil, auf den ein Autor keinen Einfluss hat. Joe Nase, der nicht gerne Liebesgeschichten liest, weil er sie als unrealistisch empfindet, wird nicht plötzlich Liebesromane lesen, nur weil der Autor super genau recherchiert hat und total realistisch schreibt. Der Vertrauensvorschuss ist nicht da.

Wegen dieses Vorschusses muss die Geschichte im Film oder im Buch nicht zu 100% realistisch sein. Kann sie auch nicht, sie ist erfunden. Aber sie muss plausibel sein. So nah an der Wahrheit, dass wir in der Geschichte versinken können.

Realismus vs. Plausibilität und Konsequenz

In Fantasy können Autoren oder Filmemacher ganze Welten erfinden und alle Regeln neu schreiben. Hier ist nichts wirklich real. Das ist auch die Erwartungshaltung der Konsumentinnen. Hier bircht die Immersion nicht, weil plötzlich fantasitische Elemente auftauchen. Aber wieso nicht?

Weil sie zwei Grundlegende Voraussetzungen erfüllen: Konsequenz und Plausibilität.

Wenn die Welt und ihre Regeln konsistent sind, akzeptieren wir sie als real für diese Welt.
Beispiel: Wenn alle Menschen mit Flügel in der Geschichte fliegen können und die ohne Flügel nicht, dann akzeptieren wir das als Eigenschaft dieser Welt. Ist es realistisch, nein, aber es wirkt real in dieser Welt und damit plausibel auf uns.

Aber Konsequenz heisst auch, dass alles immer gleich funktionieren sollte, ausser es gibt einen logischen Grund in der Geschichte, warum das eine Ausnahme ist.
Beispiel: Wenn alle Magieanwender violette Augen haben und plötzlich kann der Typ mit schwarzen Augen auch zaubern, dann muss eine gute Begründung her dafür. Ein guter Grund wäre, wenn er seine violetten Augen bisher mit Kontaktlinsen verborgen hatte. Ein schlechter Grund wäre, weil niemand damit rechnet, dass er es auch kann.

Ein weiteres Problem für die Konsequenz ist, wenn die einzelnen Elemente nicht zusammenpassen.
Beispiel: Wenn ein Wüstenvolk, in Blockhütten lebt. In der Wüste gibt es keine Nadelbäume, also woher kommen die Blockhütten? Wenn Katarina von Lauch über Holz in der Wüste nachdenken muss, dann kann sie sich nicht auf die Geschichte einlassen.

Generell verzeiht Fantasy viel mehr «Fehler» als andere Genre. Wenn die Regeln und die Welt konsistent bleiben und gut zusammenpassen, erscheint sie uns als plausibel und damit als genügend wahrheitsnah, um die Immersion nicht zu brechen. Im Unterschied zu Science Fiction, das im Weltenbau, in der Genauigkeit und Konsistenz der Welt mit Abstand die wenigsten Abweichungen verzeiht. Das hat mit der Erwartungshaltung zu tun.

Bei Erzählungen, die in unserer Welt und der Gegenwart spielen, da ist das Ganze viel komplexer. Einerseits hat man den Vorteil, dass eine fertige Welt mit fertigen Regeln hat, die man gut kennt. Das Problem ist aber, dass auch alle anderen sie kennen. Gewisse Aspekte daraus besser, als sie im Buch oder im Film dargestellt werden. Wenn der Autor über etwas schreibt von dem er nichts versteht, wird es schwierig mit dem «Realismus». Diese Fehler können die Immersion brechen.

Und dann gibt es auch den umgekehrten Fall. Physikalische Unmöglichkeiten oder andere Ungenauigkeiten, die so oft in Filmen und Büchern dargestellt werden, dass wir sie für wahr halten, obwohl sie kreuzfalsch sind.
Beispiel: Vermisste Personen, darf man erst nach 24 Stunden als vermisst melden bei der Polizei. In Wirklichkeit sollte man jede vermisste Person, egal welchen Alters sofort als vermisst melden. Das Schlimmste, was man machen kann, ist zu warten.

Und der wichtigste Punkt sind die Figuren – mit ihnen lebt oder stirbt jede Immersion. Wenn sie hölzerne Schablonen und Stereotypen sind, dann geht auch die ganze Glaubwürdigkeit einer Geschichte baden. Aber wie man realistische Protagonisten schafft, das muss das Thema für ein anderes Mal sein, denn dieser Beitrag ist jetzt zu Ende.

Was stört euch sehr in Büchern? Was in einem Film? Wo lässt ihr mehr «Fehler» durchgehen?

Vielen Dank dafür, dass du bis zum Schluss gelesen hast. Wenn dir mein Beitrag gefallen hat, dann schenk mir doch ein Like, ein paar Sterne oder teile ihn mit deinen Freunden.

Ich poste jede Woche einen neuen Beitrag zum Thema Schreiben, Geschichtenerzählen und alles drumherum. Sei dabei, oder auch nicht, ich bin nicht deine Chefin. Aber ich würde mich freuen dich wiederzusehen.

Liebe Grüsse, Patricia

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